INTERKANTONALE HOCHSCHULE FÜR HEILPÄDAGOGIK

Gehören hörbehinderte und gehörlose Menschen voll und ganz zur Schweiz? Oder müssen sie nach wie vor (zu fest) dafür kämpfen, als Teil der Schweiz voll akzeptiert zu sein? Mit diesen Fragen im Hinterkopf wurde das Projektteam „iCH. Ich bin ein Teil der Schweiz“ von der Dozentin des Lehrgangs FAGS an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik kontaktiert. Wäre dies nicht eine spannende Fragestellung für ein Lokalprojekt im Rahmen dieses Lehrgangs?

Nach den Sommerferien 2016 kam es zu einem ersten Treffen mit dem Projektteam, in welchem das Projekt sowie der Lehrgang gegenseitig vorgestellt wurden. NCBI verfügte bis zu diesem Zeitpunkt über wenig Projekterfahrung mit gehörlosen Menschen und mit Gebärdensprachdolmetschen. Doch die Herausforderungen, mit denen sich gehörlose Menschen in der Schweiz konfrontiert sehen, konnten wir gut einordnen – es sind ähnliche strukturelle und individuelle Fragestellungen zu Themen des Zugangs, der Zugehörigkeit, des Vergessenwerdens etc., wie sie sich vielen Minderheiten in der Schweiz präsentieren. Auch für die Veranstalter_innen des FAGS-Lehrgangs zeigte sich in diesem Gespräch mit dem Projektteam und das Verständnis für Diskriminierungsfragen viel Potential.

Weil wir das gesamte Projekt mit Gebärdensprach-Übersetzung durchführten, wurde der übliche Zeitplan für diese Zusammenarbeit angepasst. Zunächst wurde als Testlauf ein Halbtag zum Thema „Vorurteile“ im Allgemeinen durchgeführt, bei welchem die Studierenden mit der NCBI-Methodik vertraut gemacht wurden, gleichzeitig konnte das NCBI-Projektteam sich an die spezielle Situation mit der Übersetzung gewöhnen.
Der Kick-Off-Workshop wurde auf zwei Schultage ausgedehnt, es blieb so etwas mehr Zeit für diese Inputs als in anderen Lokalprojekten. Gleichzeitig entstand trotz der Übersetzung auch kein Zeitdruck und es konnte bereits im Rahmen der Kick-Off-Tage etwas mehr an den Aktivitäten gearbeitet werden.

Von Anfang an verlief die Zusammenarbeit zwischen dem NCBI-Projektteam und den Studierenden sowie ihrer Dozentin intensiv und spannend. Rasch wurde ein guter, persönlicher Draht gefunden und ein sicherer Rahmen etabliert. Für das NCBI-Projektteam ergaben sich viele interessante Einblicke in das Leben und die Diskriminierungserfahrungen von gehörlosen Menschen in der Schweiz. Für die Teilnehmenden gab es zahlreiche Aha-Erlebnisse, wie ihre alltäglichen Erfahrungen auch strukturelle auf Diskriminierung oder fehlende Privilegien zurückgeführt werden können und insofern nicht „zufällig“ passieren.

Immer wieder wurde in diesen beiden Tagen über die Situation von gehörlosen Menschen in der Schweiz diskutiert – dabei ging aber auch das Thema „Identität“ nicht vergessen, zum einen die Identität als Person mit einer Beeinträchtigung, zum anderen aber auch die Schweizer Identität und wie sie sich auf eine Minderheit auswirkt. Aus dem Spannungsverhältnis, zum einen (mehrheitlich) zur privilegierten Gruppe der Einheimischen zu gehören, gleichzeitig aber auch mit ganz spezifischen, täglich spürbaren Einschränkungen und fehlenden Zugangsmöglichkeiten konfrontiert zu sein, prägte viele Diskussionen und Reflexionsprozesse.

Im Rahmen des Moduls 4 des Lehrgangs „Kultur und Gemeinschaft der Gehörlosen und Gebärdensprachgemeinschaften“ erstellten die Studierenden die Ausstellung als Leistungsnachweis. Dabei wurden ihnen im Rahmen des Kick-Offs die Aktivitäten im Projekt iCH Jugend vorgestellt – es war aber klar, dass diese Aufträge der Ausgangspunkt für die Gruppen sein würden, mit denen sie eine Ausstellung über die Realität gehörloser Menschen in der Schweiz gestalten würden. Diese Ausstellung sollte als Oberthema die Frage, inwiefern Gehörlose voll und ganz Teil der Schweiz seien, beantworten.
Die Ausstellung wurde am 14. Juli 2017 im Rahmen einer öffentlichen Ausstellung an der HfH vor gut 50 Personen vorgestellt. Das Resultat der vier Gruppen war beeindruckend und glänzte mit inhaltlicher Stringenz, einem grossen Reichtum an Informationen und einem gemeinsamen Subthema: der Forderung nach Anerkennung der Gebärdensprache als fünfte Schweizer Landessprache.

Vier Gruppen hatten sich gebildet und je einen Ausstellungsteil erarbeitet:
– Eine Gruppe führte mit Hilfe von Gebärdensprach-Dolmetschenden 44 Interviews mit Passantinnen und Passanten über die Landessprachen im Allgemeinen sowie über ihre Reaktion auf die Gebärdensprache als fünfte Landessprache.
– Eine Gruppe setzte sich mit typischen Eigenschaften der verschiedenen Kantone auseinander und erstellte dazu ein unterhaltsames Postkarten-Quiz. Die Kantone und ihre Eigenheiten wurden zudem filmisch mittels Gebärdensprache dargestellt.
– Eine weitere Gruppe setzte sich mit Meilensteinen der Geschichte der Inklusion von gehörlosen Menschen in der Schweiz auseinander, skizzierte deren Gegenwart und formulierte Wünsche für die Zukunft.
– Und in einer vierten Arbeit fand eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Schweiz und Identität statt, in welcher auch partizipativ mit gehörlosen Kindern gearbeitet wurde.

Alles in allem entstand so eine reiche, ansprechend gestaltete und enorm informative Ausstellung. Es gelang den Gruppen auf beeindruckende Weise, die Besuchenden abzuholen und ihre Neugier zu wecken. Ausserdem gibt die Ausstellung spannende Einblicke in einen Teil der Schweizer Gesellschaft, der für viele Leute kaum bekannt ist. Viele Besucherinnen und Besucher gingen sicherlich mit neuen Erkenntnissen nach Hause.

Im Moment brüten wir nun – zusammen mit dem Lehrgang und dem Schweizerischen Gehörlosenbund SGB – darüber, wie diese Ausstellung auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.

In der Zeitschrift visuell Plus wurde ein Artikel zum Projekt publiziert.