Identität ist ein wichtiges Thema, welches uns alle bewusst oder unbewusst beschäftigt. Sie kann Halt geben und uns mit uns selber und anderen verbinden. Identität bewirkt Einschluss gleichzeitig aber auch Ausschluss – sie definiert «uns» und «die anderen». Sie schafft Trennungslinien und damit ein „wir“ und ein „ihr“. Das Projekt «iCH. Ich bin ein Teil der Schweiz» soll diese nicht etwa verstärken, sondern vielmehr dazu ermutigen, sich mit eigenen Identitätsvorstellungen und der Vielfalt von Identitäten auseinanderzusetzen.

Das vorliegende Projekt setzt sich mit der Identität als Schweizer*innen auseinander – es geht aber nicht davon aus, dass es die Schweizer Identität gibt. Identität ist wandelbar und dynamisch, sie wird beeinflusst von uns allen, die hier in der Schweiz leben. Gleichzeitig stehen für uns alle unterschiedliche Aspekte im Vordergrund: Schweizer Identitäten, eben!
Es ist ein Privileg der Mehrheit, sich mit der eigenen Identität nicht intensiv auseinandersetzen zu müssen. Wer dagegen zu einer Minderheit gehört, wird täglich mit seinem oder ihrem „Anderssein“ konfrontiert. Was genau Schweizer Identität(en) ausmacht, bleibt deshalb vage, abstrakt und widersprüchlich. Doch zusammen können wir aktuelle und zukunftsweisende Schweizer Identitäten entwickeln!

Thesen:

Mit folgenden Thesen, die NCBI Schweiz bei der Lancierung des Projekts im Jahr 2014 formulierte, will NCBI eine konstruktive und zukunftsgerichtete Diskussion über Schweizer Identitäten anstossen. Sie gehen aus von der Prämisse, dass die Auseinandersetzung damit, was Schweizer Identitäten ausmacht und welche Privilegien damit verknüpft sind, einen zentralen Beitrag zur Integration und gegen Diskriminierung leisten kann.

  1. Identität nicht zur Ausgrenzung benutzen.
  2. Schweizer Identität ist dynamisch und mehrdimensional.
  3. Schweizer Identität ist im Kern pluralistisch und wird von allen mitgeprägt.
  4. Ein positiver Bezug zur Schweizer Identität führt zu weniger Bedrohungsängsten durch als fremd wahrgenommene Identitäten.
  5. Bindestrichidentitäten können Migrant*innen eine Möglichkeit bieten, sich mit der Schweiz zu identifizieren, ohne ihre Herkunft zu verleugnen.
  6. Kommen wir zusammen, um neue, der gegenwärtigen Situation angepasste Schweizer Identitäten zu entwickeln! 

Die Ausführungen zu den einzelnen Thesen finden Sie im Thesenpapier.

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In vielen Teilen Europas und auch der Schweiz verbreiten sich rechtspopulistische, radikale und extremistische Sichtweisen gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichten. Es wird zunehmend polarisiert. Personen von Minderheitengruppen werden pauschal für verschiedenste Schwierigkeiten verantwortlich gemacht: die «Jugendgewalt» wurde mit jungen Männern aus dem Balkan, in Verbindung gebracht. Es wird suggeriert, dass Frauenfeindlichkeit, häusliche Gewalt oder Homophobie vor allem unter Männern aus dem globalen Süden oder aus islamischen Ländern vorkomme. In regelmässigen Abständen wird beklagt, dass die Kriminalität oder die Sozialhilfequote einer neuen Gruppe von Migrant*innen überproportional hoch sei. Immer wieder kommt ein neues Thema auf, doch der Grundtenor bleibt der gleiche: die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte gelinge nicht – und vielen dieser Menschen wird ein fehlender Integrationswille unterstellt.

Aber wie kommt Integration eigentlich konkret zustande? Wie meistere ich das Spannungsfeld zwischen meinen manchmal widerstrebenden Bedürfnissen nach Individualität und nach Zugehörigkeit? Diese Frage stellt sich für uns alle – mit oder ohne Migrationsgeschichte.
Damit Integration gelingt, braucht es natürlich einen Beitrag eines jeden Individuums. Wenn jemand in einem anderen kulturellen Kontext aufgewachsen ist, wird dieser Beitrag grösser: es wird schwieriger, sich im gesellschaftlichen Umfeld zurechtzufinden, weil Vieles anders ist, neu. Nicht nur die Sprache – auch alle Institutionen und das Alltagsleben sind anders. Ohne einen Beitrag des Umfelds – der Gesellschaft und der Menschen, die dazu gehören – kann die Integration aber nicht stattfinden. Dieser Beitrag kann nicht nur passiv sein. Zusätzlich zu Offenheit und Bereitschaft kann dieser gerade in einer aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den eigenen Privilegien bestehen.

Dieser Beitrag der Einheimischen an eine gelungene Integration ist zwar im Gesetz erwähnt, was er beinhaltet, bleibt aber unkonkret. Ebenfalls gibt es kaum eine Auseinandersetzung darüber, was Schweizer Identitäten überhaupt ausmacht und wie sich dies in Zeiten der Globalisierung und mit der Schweiz als privilegiertem Einwanderungsland ändert.

Während es Menschen mit Migrationsgeschichte in vielen Ländern durch Bindestrich-Identitäten (z.B. als „Afro-Amerikaner*in“) ermöglicht wird, sich als Teil der neuen Heimat zu fühlen, ohne die alte ganz loszulassen, herrscht in der Schweiz ein Bild vor, dass man entweder Schweizer*in ist – oder nicht. Was genau diese Schweizer Identität ausmacht, ist jedoch vage und abstrakt. Die Einheimischen bleiben unsichtbar. Dafür stehen Migrant*innen umso stärker im (oft kritischen) Rampenlicht der Öffentlichkeit. Nur sie sind sichtbar. Diese Bilder sind oft in den Regionen kritischer oder mit grösseren Vorbehalten verbunden, in denen der Anteil der Menschen mit Migrationsgeschichte tiefer ist: trifft man regelmässig auf Menschen aus einer bestimmten Gruppe, normalisiert sich dieser Kontakt – Stereotypen und kolportierte Schreckbilder verlieren aufgrund der realen Begegnungen an Halt.

Lange Zeit wurde eine positive, patriotische Sichtweise auf Schweizer Identitäten von der politischen Rechten vereinnahmt, was im Gegenzug eine positive Identifikation mit der Schweiz auf Seiten der Linken erschwerte und zu einem fehlenden, gesunden Stolz (positives Selbstwertgefühl in Bezug auf Identität im Sinne von NCBI – siehe die These 4 im Thesenpapier) führte. Gleichzeitig entwickelte sich in den letzten Jahren unter dem Trendbegriff der „Swissness“ ein hippes Gegenkonzept dazu, das sich scheinbar positiv auf die Schweiz bezieht. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern sich Swissness als Marke effektiv als positive Identifikation mit einer Schweizer Kultur und Identität eignet und inwiefern es nur ein Marketing-Schlagwort für Uhren, Folklore usw. bleibt. Aber auch der rechtsnationalistische Patriotismus eignet sich in seiner Blindheit gegenüber einer kritischen Betrachtung und Aufarbeitung der Geschichte und Gegenwart der Schweiz nicht als realitätsnahes Konzept für eine ehrliche, differenzierte und positive Identifikation mit der Schweiz.

Wenn man also danach fragt, wie eine reflektierte, aufgeklärte und nichtsdestotrotz positive Schweizer Identität aussehen soll, gibt es bisher wenig überzeugende Antworten. Gibt es einen gesunden, aufgeklärten Stolz auf die Schweiz, dem es gelingt, auch kritische Punkte ins Bild zu integrieren, ohne in ein Lamento der Schweiz zu verfallen? Dazu kommt, dass die Frage, was „schweizerisch“ resp. „nicht schweizerisch“ ist und was es bedeutet, Schweizer*in zu sein oder zu werden, in der von rechts geführten Debatte einen zentralen Platz einnimmt: Gerade in patriotischen Subgruppen, die häufiger im ländlichen Raum auftreten, wird zuweilen zwischen «Schweizer*innen» und «Eidgenoss*innen» unterschieden – ersteres könne jede*r werden, aber letzteres referiert auf einen als natürlich gesehen Kern. Von den Menschen mit Migrationsgeschichte wird erwartet, dass sie sich für eine Identität entscheiden. Aber selbst dann werden sie nie ganz dazu gehören – egal, wie integriert sie sind.

Das Projekt „iCH“ ermöglicht einen spannenden, lustvollen und bereichernden Austausch über Schweizer Identitäten. Dieser macht uns allen, die wir in der Schweiz leben, besser bewusst, wer wir sind und was uns zusammenhält.

Das NCBI-Projekt „iCH. Ich bin ein Teil der Schweiz“ richtet sich an alle Menschen, die in der Schweiz leben, und hat zum Ziel, ihr Selbstbewusstsein als Teil der Schweiz zu stärken. Dies führt zu einem friedlicheren Zusammenleben im selben Land, zu einer besser gelingenden Integration vom Menschen mit Migrationsgeschichte und zum Abbau von Fremdenfeindlichkeit.

NCBI Schweiz geht davon aus, dass eine positive Identifikation mit seinen eigenen Identitäten die beste Voraussetzung dafür ist, zu den unabsichtlich angelernten Vorurteilen eine reflektierte Distanz aufzubauen und Brücken – echte, tragfähige Beziehungen von Mensch zu Mensch – zwischen verschiedenen Gruppen aufbauen zu können.

Wenn wir unsere eigenen nationalen Identitäten kennen und stolz auf sie sind, dann fällt es uns leichter, andere genauso zu akzeptieren.

Die folgenden Teilziele sollen dabei helfen, dies zu erreichen:

  • Das Projekt bezweckt die Frühprävention von Radikalisierung und Extremismus bei Jugendlichen, insbesondere im ländlichen Raum. Die teilnehmenden Jugendlichen debattieren über die Bedeutung von unterschiedlichen Identitäten, lernen voneinander und entwickeln Akzeptanz.
  • Die teilnehmenden Jugendlichen setzen sich auf einer individuellen Ebene mit ihren Identitäten auseinander. Sie reflektieren dabei Ursprünge für Ängste und Opfergefühle und erlernen einen positiven Umgang mit Identität ohne Ausschluss und Abwertung von anderen. Zentrale Fragen dabei sind: Welchen sozialen Gruppen gehöre ich an? Welche Stereotype gibt es über meine Gruppen und wie wirken sich diese auf mein Selbstwertgefühl aus? Worauf bin ich stolz in Bezug auf meine Identitäten?
  • Die teilnehmenden Jugendlichen setzen sich auf einer gesellschaftlichen Ebene mit Identitäten auseinander. In diesem Prozess reflektieren sie die Entstehung von Schweizer Identitäten, die gängigen Ausschluss-Narrative („wir-gegen-sie“-Mentalität) werden hinterfragt und Zugehörigkeit sowie positive Identifikation werden gestärkt. Vorurteile gegenüber Zugewanderten werden thematisiert, reflektiert und abgebaut. Somit wird ein positiver und konstruktiver Beitrag an die Integrationsbemühungen ermöglicht.
  • Weiter werden eigene Privilegien thematisiert und reflektiert sowie genauer betrachtet, womit weniger privilegierte Personen sich täglich konfrontiert sehen. Dadurch erhalten einerseits die privilegierten Jugendlichen Zugang zu neuen Perspektiven, andererseits können weniger privilegierte Jugendliche ihre Erfahrungen in einem geschützten und sicheren Rahmen schildern, dabei Wertschätzung erfahren und somit in ihrer Identität gestärkt werden. Ausgangspunkt bilden die Fragen: Welche Privilegien habe ich (nicht)? Wie gehe ich damit um? Welche Erfahrungen machen weniger privilegierte Menschen?